Gerade wenn man denkt, dass doch alles total gut durchgeplant ist und man sich für die restliche Zeit nicht mehr um Routenplanung kümmern muss, kommt so ein Kollege wie unsere Unterkunft in Indre Hafslo daher. Gerade so um die Ecke in einem Seitental des Lustrafjord gelegen, dass man auch garantiert nicht das Gefühl hat, im Fjordland zu sein. Im agrarländlichen Nirgendwo. Voll automatisierter Kuhstall direkt gegenüber. Die Wohnungstür begrüßt uns mit einer offenen Zarge aus der Bauschaum hervorquillt. Daneben eine Palette voller Holzspäne auf der vermutlich in der Regel das Brennholz für den Kamin gelagert ist. Die auf den Bildern bei der Buchung behagliche Schotterterrasse und der Gapahuk mit Feuerschale und Jacuzzi fallen ungesichert jäh in einen steinigen Steilhang hab. Keine Umgebung, in der man sein Baby während seiner ersten Gehversuche bedenkenlos ziehen lässt. Drinnen zum Glück der Eindruck deutlich besser. Alles sauber und ordentlich und gemeinhin eher gehobener Standard. Auch können wir endlich das erste mal seit Bergen wieder Wäsche machen. Trotzdem irgendwie nicht das wo wir uns unseren längsten Aufenthalt von fünf Nächsten vorstellen können. So verbringen wir also den restlichen Abend doch wieder mit der Planung, wie wir aus dem Schlamassel wieder rauskommen. Kurzerhand beschließen wir den Aufenthalt um zwei Nächte zu kürzen und legen uns eine Notlüge zurecht, die wir den Gastgebern am Tag vor der Abreise auftischen wollen. Entweder schlucken sie die, oder die gut 200 Euro für die nicht genutzten Nächte sind dahin. Davon wollen wir uns bei den Gesamtkosten für die Reise nicht beirren lassen.


Am nächsten Tag schauen wir vormittags nach Solvorn. Ein unglaublich hübsches kleines Dörfchen, von dem aus man mit der Fähre auf die andere Seite des Fjordes zur Stabkirche in Urnes übersetzen kann. Beim durchstreifen des Ortes fällt uns auf, dass gut die Hälfte dieser sauber geweißelten, schön hergerichteten alten Holzhäuser mit akkurat gestutzten Rasen gar nicht bewohnt ist. Trotzdem sind auch die Fenster mit Häkelgardinen und Plastikblumen bestückt, die eine gewisse merkwürdige Art von Gemütlichkeit suggerieren. Wofür dieser Aufwand betrieben wird, erschließt sich uns nicht so richtig. Im Dorf selbst gibt es nur ein altehrwürdiges Hotel, ein kleines Café mit Kajakverleih und eben die Anlegestelle der Fähre. Also nichts, was auf größeren Tourismus hindeuten würde. Nach einem kleinen Spaziergang zieht es uns wieder zurück in die Wohnung.






Am Nachmittag wollen wir noch raus an den Nigardsbreen. Da das Wetter verspricht, gegen späten Nachmittag stabil schön zu werden, starten wir erst nach einem kollektiven Mittagsschlaf in den Nationalpark. Am Ende war es genau die richtige Wahl. Wir setzen um halb fünf die ersten 1,4 km mit dem Boot über den Gletschersee. Der Bootsführer schenkt uns die einfache Fahrt, weil er gleich Feierabend hat, sein Kartenlesegerät kaputt ist und er auf der anderen Seite des Sees eh noch einige Leute zurück zum Parkplatz bringen muss.


Die zweiten 1,4 km geht es zu Fuß durch eine zunehmend surreal wirkende Umgebung. Zuerst kommen uns noch die letzten Gruppen der Gletscherwanderer entgegen. Danach sind wir über weite Strecken vollkommen alleine in dieser faszinierenden Landschaft. Aufs Neue sind wir völlig überwältigt davon, die Gewalt der Natur wirken zu sehen. Gleichzeitig empfinden wir eine drückende Ohnmacht, dass wir als Menschen nicht willens sind, diese Ökosysteme adäquat zu schützen. Als ich selbst vor 24 Jahren schon mal an diesem Gletscher stand, ging der noch bis zum Gletschersee. Inzwischen hatte er sich bereits über einen Kilometer auf den Berg zurückgezogen. Auch für die Große ist es ein Erlebnis, über die Steinplatten und Täler aufzusteigen. Die Kleine freut sich wie so oft einfach nur, dabei sein zu dürfen und klettert bei Papi in der Kraxe mit. Begleitet von reichlich Dadaismus erreichen wir den Rand des Gletschers. Das Klicken, Knacken und Plätschern im Eis. Das Pfeifen des zunehmend Kalten Windes begleitet von dem Rauschen des aus dem Gletscher entspringenden Wassers, dass einen unbändigen Wildbach formt. Niemand da, außer zwei kleinen und zwei klitzekleinen Menschlein.










Nach kurzer Pause geht es schon wieder an den Abstieg. Schließlich haben wir nun noch knapp drei Kilometer bis zum Parkplatz vor uns. Um 19 Uhr sitzen wir erfüllt von phantastischen Eindrücken wieder im Auto Richtung Hafslo. Wieder ist die Große die komplette Strecke ohne Murren mitgelaufen, auch wenn ihr die vielen Kletterpartien sichtlich zugesetzt haben.
Nach diesem ereignisreichen Tag, wollen wir den folgenden etwas ruhiger angehen. Der Himmel ist leider schon wieder zugezogen, als wir wieder nach Solvorn starten, um dort zu Fuß die Fähre nach Urnes zu nehmen. Die Stabkirche tront auf einer Anhöhe im hinteren Teil der Siedlung. Der Fußmarsch nach Oben zieht sich. Die Kirche selbst ist eindrucksvoll. Draußen fast 1000 Jahre alte Holzschnitzereien, die den Wettern getrotzt haben. Innen ist der intensive Geruch von Weihrauch in die alten Hölzer gezogen und vermittelt eine leichte Ahnung von der Zeit, als irische Priester auszogen, um den Wikingern um 800 das Christentum zu lehren. Auf den Fertigkeiten zur Holzbearbeitung der Wikinger wiederum basiert das Grundkonzept der Stabkirchen, was sie tatsächlich einzigartig macht. Nach einer kurzen Mittagspause nehmen wir wieder die Fähre zurück. Heute ist uns nicht mehr nach Laufen. Wir fahren zurück in die Wohnung, um unser Gepäck mal wieder auf Vordermann zu bringen und für die morgige Abfahrt zu rüsten. Wir schreiben den Gastgebern von einem persönlichen Notfall und dass wir bereits am nächsten Tag unsere Reise abbrechen müssen. Kein sauberer Move, aber die einzige Option, wenigsten auf einen Teil des Geldes hoffen zu können. Wider Erwarten erstatten sie uns innerhalb von einer Stunde das Geld für die restlichen zwei Nächte. Ist also am Ende doch alles wieder gut ausgegangen.









Um neun Uhr morgens starten wir auf die rund 270 km nach Prestfoss. Wie wir die norwegischen Straßen inzwischen kennen, wissen wir, dass das kein Katzensprung ist. Wir lassen die Fjorde und Berge hinter uns und tauchen ein in die westlichen Ausläufer der Telemark bevor es uns an unsere letzte Station an der Südküste verschlägt. Zum Glück können wir auf zwei unglaublich reisetaugliche Kinder bauen. Auch das macht uns einen kleinen Batzen Stolz auf unsere Mädels.